Papierlosigkeit und medizinische Versorgung

1. Dringende Medizinische Hilfe
Jeder Mensch hat das Recht auf medizinische Versorgung.  Bei Papierlosen, wird dieses Recht meist über das System der dringenden medizinischen Hilfe gewährt.

Prozedur:
Menschen ohne Aufenthaltsrecht sollten sich bei gesundheitlichen Beschwerden zunächst an das ÖSHZ der Gemeinde wenden, in der sie sich aufhalten.
Das ÖSHZ untersucht, ob die Person tatsächlich nicht  für die Kosten aufkommen kann  und Papierlos ist.
Wenn beide Bedingungen erfüllt sind, nimmt das ÖSHZ die Kosten auf sich und stellt  ein entsprechendes Dokument aus, mit dem der Antragsteller zum Arzt, zur Apotheke oder zum Krankenhaus gehen kann.
Der Arzt, das Krankenhaus schickt dem ÖSHZ ein Attest der dringenden medizinischen Hilfe, woraufhin das ÖSHZ die Arztrechnung bezahlen kann.  Der Föderalstaat erstattet diese Kosten zurück an das ÖSHZ.
Verweigert das ÖSHZ die dringende Medizinische Hilfe, sollte das ÖSHZ dies schriftlich bestätigen. Zweifelt man an der Legaliät der Entscheidung des ÖSHZ,  kann gegen die Ablehnung des Antrags innerhalb von 3 Monaten ein Einspruch beim Arbeitsgericht eingereicht werden.

Was fällt unter dringende medizinische Hilfe?
Dringende Medizinische Hilfe beinhaltet mehr als die Versorgung nach einem Unfall oder einer ernsten Krankheit. Sie beinhaltet auch kuratieve oder präventieve Hilfe, wie bspw. eine Operation, eine Geburt, Kinesitherapie und Medikamente… Normalerwiese werden alle medizinischen Leistungen erstattet, die auch die Krankenkasse erstattet. Die RIZIV Nomenclatur, sprich eine Liste in der die medizinischen Leistungen aufgeführt wird, die die gesetzliche Krankenkasse übernimmt, gilt hier als Grundlage. Manche medizinischen Leistungen werden nicht berücksichtigt im System der dringenden medizinischen Hilfe, werden jedoch in individuellen Fällen dennoch vom ÖSHZ übernommen (eventuell nach einem Urteil des Arbeitsgerichts). Eine Brille für Kinder unter 12 jahren wird beispielsweise meist erstattet, bestimmte Zahnbehandlungen (Zähne ziehen) hingegen nicht.

Welches ÖSHZ ist befugt?
Im Prinzip ist das ÖSHZ der Gemeinde befugt in der man lebt.  Zieht man um, muss ein neuer Antrag auf dringende medizinische Hilfe beim ÖSHZ der neuen Gemeinde, in der man lebt gestellt werden.
Manchmal ist auch das ÖSHZ der Gemeinde zuständig in der die medizinische Hilfe geleistet wurde (bei Notfällen in denen eine Versorgung im Krankenhaus notwendig ist).
Bedingungen dazu sind:

  • die medizinische Versorgung ist unvorhergesehen und dringend
  • die Anfrage auf dringende medizinische Hilfe geschieht noch während des Aufenthalts im Krankenhaus
  • oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des Patienten kann nicht ermittelt werden

In der Praxis gibt es diesbezüglich jedoch unterschiedliche Interpretationen und Handhabungen.

! Die dringende medizinische Hilfe greift nicht, wenn

  • Papierlose noch Krankenverichert sind (siehe unten),
  • sie eine private Krankenversicherung abgeschlossen haben,
  • ein Garant sich verpflichtet hat, die Aufenthaltskosten zu übernehmen.
  • wenn ein Arzt konsultiert worden ist ohne das vorherige Einverständnis des ÖSHZ, ausser in ausgewiesenen Notfällen.

 

2. Krankenversicherung

Als Papierlose kann man sich im Prinzip nicht bei einer Krankenkasse krankenversichern. Es  ist jedoch eine “Weiterversicherung” möglich, wenn ein  gültiges Aufenthaltsrecht bestand und man während des gültigen Aufenthalts krankenversichert war  und dann  papierlos wird (der Verlust des Aufenthaltsrechts hat nicht automatisch den Ausschluss aus der Krankenversicherung zur Folge). Die Krankenversicherung bleibt gültig bis zum Ende des Jahres, das dem Jahr des Verlust des Bleiberechts folgt. Verliert man bspw. sein Bleiberecht im Januar 2014 kann man unter Umständen weiter versichert bleiben bis zum Jahr 2015.

In gewissen Fällen kann man als Person zu Lasten über einen Sozialversicherungsberechtigten Krankenversichert werden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Elternteil einen Aufenthaltstitel hat und krankenversichert ist, seine Kinder unter 25 Jahren, die bei ihm leben  jedoch keinen legalen Aufenthaltstitel haben. In solchen Fällen können die Kinder über den legal in Belgien verbleibenden Elternteil versichert werden. Hierzu muss der Beweis der Verwandschaft und des Zusammenlebens geliefert werden ( Achtung: Papierlose sind meist nicht im Nationalregister vermerkt. Verlangt die Krankenkasse eine Einschreibung im Nationalregister können Sie sich auf  Art. 123 des Königlichen Erlasses vom 3. 07.1996 und dessen Aktualisierung vom 01.01.2008 berufen in dem explizit vermerkt ist, dass der Beweis des Zusammelebens über andere Wege möglich ist, bspw. eine Bescheinigung der Gemeinde oder der Polizei) Konsultieren Sie einen Anwalt oder einen spezialisierten Dienst diesbezüglich.

3.  Präventive Familienunterstützung durch Kaleido
Kaleido unterstützt unter anderem alle (zukünftigen) Eltern mit Informationen, praktischen Tipps und Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen der Kinder, dies von der Schwangerschaft an, bis zum 3. Lebensjahr des Kindes. Dieses Angebot ist kostenlos und auch für Papierlose zugänglich.
Kontaktdaten:
Gospertstraße 44, B-4700 Eupen
Tel. 087 – 55 46 44

 

Wichtig zu wissen

! Notaufnahme der Krankenhäuser nur bei Notfällen aufsuchen!  Allzu oft begeben sich Menschen sofort zur Notaufnahme der Krankenhäuser, auch wenn es sich nicht um Notfälle handelt. Das ÖSHZ kann in diesem Fall  die Übernahme der dadurch entstandenen Kosten verweigern.

! Vertraulichkeit: Ärzte, oder anderes medizinisches Personal und  das ÖHSHZ  sind an das Berufsgeheimnis gebunden und dürfen vertrauliche Informationen nicht weiterleiten, auch nicht an Behörden. Dies bedeutet, dass weder das ÖSHZ noch Ärzte oder anderes mediznisches Personal Menschen ohne Aufenthaltsrecht bei der Staatsanwaltschaft angeben dürfen.

 

Mehr Informationen:
Mehr Informationen zum Recht auf medizinische Versorgung von Nicht-Belgiern und insbesondere von Papierlosen finden man auf der Website von Medimmigrant. Sie enthält viele interessante Informationen, bpw. die Rückerstattungsmöglichkeiten von mediznischen Kosten, je nach Aufenthaltsstatut.  (Website: medimmigrant.be)