Regularisierung aus humanitären Gründen (9bis)

Normalerweise muss ein Drittstaatsangehöriger ein Aufenthaltsrecht bei der belgischen Botschaft des Landes einreichen in dem er über ein Aufenthaltsrecht verfügt und dies bevor er nach Belgien kommt. Der Art. 9bis des Ausländergesetzes sieht zu dieser Grundregel jedoch eine Ausnahme vor. Wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Antragstellung bei der zuständigen belgischen Botschaft unmöglich oder besonders schwer machen, kann ein Antrag auch in Belgien gestellt werden. Dieses Ausnahmeverfahren nennt man Regularisierungsverfahren aus humanitären Gründen.

Grundbedingungen für die Zulässigkeit des Antrags:

1.Wohnort in Belgien
Für den Antrag 9bis müssen Sie einen Wohnort in Belgien haben, das heißt Sie müssen sich effektiv in Belgien aufhalten (Sie müssen aber nicht  bei einer Gemeinde eingetragen sein oder über einen legalen Aufenthalt verfügen)

2. Identitätsdokument
Sie und alle Familienmitglieder für die Sie eine Regularisierung beantragen, müssen ein Identitätsdokument besitzen (Pass oder nationale Identitätskarte). Die Gültigkeit der Ausweisdokumente darf bereits abgelaufen sein. Es sei denn:

  • Sie befinden Sich noch im Asylverfahren. Dann müssen Sie diese Bedingung nicht erfüllen
  • Es ist für Sie unmöglich ein Identitätsdokument zu erhalten.

Wichtig: Ausschlaggebend für die Beurteilung Ihres Antrags ist nicht die Situation bei Antragstellung, sondern die Situation beim Überprüfungszeitpunkt. Wenn zum Beispiel  Ihr Asylantrag beendet ist und Sie haben noch keine Antwort auf Ihren Regularisierungsantrag 9bis erhalten, sollten Sie dem Ausländeramt eine Kopie Ihres Identitätsdokuments nachreichen.

3. Außergewöhnliche Umstände
Sie müssen  außergewöhnliche Umstände aufzeigen, warum Sie den  Antrag auf ein Aufenthaltsrecht  nicht in ihrem Herkunftsland (oder dem Land in dem Sie eine Aufenthaltsgenehmigung haben) stellen können.
Das Gesetz definiert nicht was außergewöhnliche Umstände sind.
Beispiele von außergewöhnlichen Umständen sind:

  • laufende Asylprozedur
  • Bei einer Rückkehr drohen Ihnen Menschenrechtsverletzungen (Art. 3 oder 8 der EMRK)
  • Administrative Schwierigkeiten, d. h. Sie können die nötigen Reisepapiere aus verschiedenen, beweisbaren Gründen nicht erhalten
  • Verschiedene Gründe, die zusammen genommen, es Ihnen unmöglich oder extrem schwierig machen in Ihr Herkunftsland zurück zu kehren
  • Unredliche lange Asylprozedur (mindestens 3 Jahre für Familien mit schulpflichtigen Kindern, 4 Jahre für Alleinstehende oder andere Familien)

Wichtig: Die Beweislast der außergewöhnlichen Umstände liegt beim Antragsteller.

4. Zahlung der administrativen Gebühr
Wenn Sie älter als 18 Jahre alt sind und einen Antrag auf humanitäre Regularisierung einreichen wollen, müssen Sie vorher eine administrative Gebühr entrichten (215€/ erwachsene Person). Dies gilt für Anträge die nach dem 2.03.2015 eingereicht werden. Ohne den Beweis der Zahlung der administrativen Gebühr, ist der Antrag unzulässig.
Der Betrag muss auf das Konto des Ausländeramtes überwiesen werden:
Kontonummer:  BE57 6792 0060 9235
In der Mitteilung vermerken Sie in jedem Fall Ihren Namen, Vornamen, Geburtsdatum. Idealerweise vermerken Sie auch Ihre Nationalität und die gesetzliche Basis für Ihren Antrag: 9bis
Für jedes Familienmitglied, das 18 Jahre oder älter ist, muss eine getrennte Überweisung gemacht werden.
Den Zahlungsbeleg fügen Sie dem Antrag bei.

5. Neue Elemente bei einem neuen Antrag
Damit Ihr Antrag zulässig ist, muss Ihr Antrag Elemente enthalten, die nicht bereits bei einem früheren Verfahren angeführt wurden. So wird Ihr Antrag für unzulässig erklärt, wenn Ihr Antrag nur basiert auf:

  • Elemente, die Sie bereits bei einem früheren 9bis Antrag genutzt haben
  • Elemente, die Sie bereits bei einem früheren 9ter Antrag genutzt haben
  • Elemente, die Sie hätten nennen sollen bei einem früheren Asylverfahren
  • Elemente, die Sie bereits bei einem Asylverfahren genannt haben, die jedoch von den Asylinstanzen abgelehnt worden sind. Es sei denn sie sind abgelehnt worden, weil sie den Asylkriterium nicht entsprechen.
    Eine neue Politik kann auch ein neues Element sein. Beispielsweise, wenn die administrative Praxis für die Zuerkennung einer humanitären Regularisierung sich ändert.


Motive zum Grund (Motifs de fond)
Damit Ihr Antrag nicht nur als zulässig, sondern auch als begründet gilt, müssen Sie ausserdem erklären, warum  Belgien Ihnen einen Aufenthalt von mehr als 3 Monaten gewähren sollte. Diese Gründe können eventuell identisch sein mit den außergewöhnlichen Umständen, die eine Antragstellung in Belgien rechtfertigen.

Formale Bedingungen
Ihr Antrag muss folgende Informationen/Elemente enthalten:

  • Die Anfrage auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung auf Basis des Art. 9bis (verdeutlichen Sie, ob sie einen unbefristeten oder befristeten Aufenthalt beantragen)
  • Die Anfrage an den Bürgermeister Ihrer Wohngemeinde,  eine Wohnkontrolle zu veranlassen und ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an das Ausländeramt weiterzuleiten (Begleitbrief)
  • Ihre Dossier-Nummer beim Ausländeramt (falls vorhanden)
  • Alle relevanten Personenangaben des Antragstellers  (Name, Vorname, Geburtstag und-Ort, Nationalität, Zivilstand) + Kopie des Identitätsdokuments oder Erklärung warum das Identitätsdokument nicht vorgelegt werden kann.
  • Übersicht über die Familienzusammenstellung
  • Die Bezeichnung des gewählten Wohnsitzes : Adresse an die das Ausländeramt die Entscheidung schicken kann. Dies kann bspw. die Adresse Ihres Anwalts sein oder Ihre eigene.
  • Die Bezeichnung Ihres effektiven Wohnsitzes
  • Beschreibung der außergewöhnlichen Umstände die eine Antragstellung auf ein Aufenthaltsrecht in Belgien rechtfertigen
  • Beschreibung der Gründe warum Sie in Belgien bleiben möchten
  • Beweisstücke die die außergewöhnlichen Umstände und Gründe untermauern

Prozedur

1. Schriftliches Verfahren
Das Regularisierungsverfahren ist ein rein schriftliches Verfahren. Sie werden also nicht vom Ausländeramt angehört. Es ist daher wichtig, dass sie einen gut motivierten Antrag stellen und diesem alle Beweisdokumente (Kopien) beifügen.  Wir raten Ihnen in jedem Fall den Antrag mit Hilfe von Spezialisten zu stellen (Anwälte oder spezialisierte juristische Dienste)
Der Antrag kann in einer der 3 Landessprachen verfasst sein. Wenn Sie in einem Zeitraum von 6 Monaten vor der Antragstellung ein Asylverfahren laufen hatten, dann behandelt das Ausländeramt die Regularisierung in derselben Sprache, in der das Asylverfahren geführt wurde.

2. Antragstellung beim Bürgermeister der Gemeinde in der Sie sich aufhalten
Reichen Sie Ihren Antrag  per Einschreiben beim Bürgermeister der Gemeinde Ihres tatsächlichen Wohnsitzes ein.
Nach Erhalt des Antrags, veranlasst die Gemeinde innerhalb von 10 Tagen (keine gesetzliche Frist) eine Aufenthaltsprüfung. Die lokale Polizei überprüft, ob Sie wirklich an der angegebenen Adresse wohnen. Die Gemeinde kann Ihre Anfrage nur bearbeiten, wenn Sie sich wirklich auf dem Gebiet der Gemeinde aufhalten. Anderenfalls ist die Gemeinde nicht zuständig und wird der Antrag abgelehnt, bzw. nicht berücksichtigt und sie erhalten eine Anlage /Annexe 2. Gegen diese Entscheidung  können Sie Einspruch erheben beim Rat für Ausländerstreitigkeiten.
Wenn Sie an der angegebenen Adresse wohnen, erhalten Sie eine Empfangsbestätigung, die Anlage 3 und leitet die Gemeinde Ihren Antrag weiter an das Ausländeramt
Wichtig: Bewahren Sie die Anlage 3 sorgfältig auf, sie ist der Beweis für die Antragstellung.

3. Beurteilung durch das Ausländeramt
Das Ausländeramt prüft Ihren Antrag bezüglich der Annehmbarkeit und des Grundes ihres Antrags. Das Ausländeramt hat dabei einen breiten Ermessenspielraum, darf jedoch nicht willkürlich entscheiden.
Es gibt keine gesetzlich festgelegte Frist innerhalb der das Ausländeramt den Antrag beantworten muss. In der Praxis sind die Zeiträume sehr unterschiedlich (zwischen 6 Monaten und mehreren Jahren).

4. Entscheidungen
Wenn Ihr Antrag als zulässig und begründet beurteilt wird, erhalten Sie einen Aufenthaltstitel. Dieser kann befristet (A Karte) oder unbefristet (B Karte) sein. Wenn der Aufenthaltstitel befristet ist, können Sie 45-30 Tage vor Ablauf des Aufenthaltsrechts einen Antrag auf Verlängerung stellen. Diese ist meist an Bedingungen geknüpft.
Wird Ihr Antrag für unzulässig oder für zulässig aber unbegründet erklärt , erhalten Sie einen ablehnenden Bescheid in der Regel gemeinsam mit einer Aufforderung das Land zu verlassen.
Das Ausländeramt schickt seine Entscheidung an den gewählten Wohnort  oder an die Gemeinde ihres effektiven Wohnorts. In diesem Fall lädt die Gemeinde Sie vor um die Entscheidung in Empfang zu nehmen.
Einspruch
Sie haben die Möglichkeit innerhalb von 30 Tagen nach Notifizierung einen Antrag auf Annullierung (und Suspendierung) der Entscheidung beim Rat für Ausländerstreitigkeiten einzureichen.

Gut zu wissen:
-Es ist wichtig, dass Sie dem Ausländeramt per Einschreiben jegliche Adressenänderung mitteilen, dies sowohl was ihren effektiven Wohnsitz anbelangt als auch den gewählten Wohnsitz.

-Solange Sie noch keine Entscheidung des Ausländeramtes erhalten haben, können Sie Ihren Antrag aktualisieren. Diese Aktualisierungen können Sie entweder
per Einschreiben an das Ausländeramt schicken.  Adresse:
Ausländeramt – Dienst humanitäre Regularisierung,
Antwerpsesteenweg 59b
1000 Brüssel
per fax an das Ausländeramt: 02/274 66 71 (NL sprachige Prozedur) oder 02 274 66 02 (Franz. Sprachige Prozedur)
Vermerken Sie dabei immer Ihre Dossiernummer!

-Die Antragstellung selbst eröffnet kein Aufenthaltsrecht. Erst wenn der Antrag für zulässig und begründet erklärt wird vom Ausländeramt besteht ein Aufenthaltsrecht.  Die Antragstellung selbst hat also keinen Einfluss auf die aufenthaltsrechtliche Situation. Wer illegal in Belgien lebt, dessen Aufenthalt bleibt illegal bis zu einer positiven Entscheidung.

-Wenn gegen Sie ein Wiedereinreiseverbot nach Belgien vorliegt, wird Ihr Antrag auf Regularisierung abgelehnt.